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Die Bedeutung von Real-World Evidence in der Früherkennung und Behandlung chronischer Krankheiten

Erstellt am: 01.10.2024

 

Einblicke von Philipp Thiele, Commercial Lead von intermedix und Co-Founder sowie Geschäftsführer des zur CompuGroup Medical gehörenden Unternehmens docmetric

 

Herr Thiele, könnten Sie uns eine kurze Einführung in das Konzept von Real-World Evidence (RWE) geben und erklären, warum es besonders in der modernen Medizin an Bedeutung gewinnt?

Real-World Evidence (RWE) basiert auf der Analyse von Real-World Daten (RWD), die beispielsweise aus elektronischen Patientenakten, Krankenversicherungs- und Abrechnungsdaten oder Wearables gewonnen werden, um klinische Evidenz zu gewinnen. Da sie eine breitere, diversere und realistischere Sicht auf die Wirksamkeit und Sicherheit von Behandlungen in der allgemeinen Bevölkerung erlauben, stellen RWE-Studien eine wertvolle Ergänzung zu den Erkenntnissen aus randomisierten kontrollierten Studien dar. Zudem ermöglichen sie die Beobachtung von Langzeiteffekten und helfen bei der Durchführung von Kosten-Nutzen-Analysen, was für Entscheidungsträger im Gesundheitswesen von hoher Relevant ist. Auch Abweichungen bei der Wirkung von Behandlungen bei unterschiedlichen Patientengruppen kann RWE aufdecken. Gesundheitsbehörden wie die FDA und die EMA erkennen zunehmend den Wert von RWE für regulatorische Zwecke an, was die Zulassung neuer Therapien und die Erweiterung bestehender Indikationen beschleunigen kann.

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Unsere Experten erläutern Ihnen die Möglichkeiten der Nutzung von RWE und geben Ihnen tiefe Einblicke in die Einführung neuer Behandlungen anhand der InspeCKD-Studie, bei der rund 450.000 anonymisierte Patientendatensätze aus 1.250 Allgemeinarztpraxen in Deutschland analysiert wurden. Außerdem werden die konkreten Vorteile von RWE erörtert, die über die Theorie hinausgehen und in die Praxis umgesetzt werden, sowie die technischen Herausforderungen, die bei der Integration auftreten.
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AstraZeneca führte mit Hilfe von CGM und Alcedis die InspeCKD Studie durch, in der anonymisierte Gesundheitsdaten aus dem CGM Forschungspanel docmetric untersucht wurden. Welche Erkenntnisse konnten daraus gewonnen werden?

Die Diagnose „chronische Nierenerkrankung” wird in Deutschland häufig erst im fortgeschrittenen Stadium gestellt. Patienten, die an Bluthochdruck, Diabetes mellitus und/oder kardiovaskulären Erkrankungen leiden, weisen ein erhöhtes Risiko auf und sollten daher den Leitlinien entsprechend regelmäßig gescreent und überwacht werden. Im Rahmen der durchgeführten InspeCKD-Studie wurden anonymisierte elektronische Patientendatensätze von diesen Risikogruppen aus deutschen Hausarztpraxen analysiert. Die Ergebnisse der RWE-Studie weisen auf eine unzureichende labordiagnostische Versorgung von Patienten mit erhöhtem Risiko für CKD hin und unterstreichen die Bedeutung einer intensivierten Aufklärung und Umsetzung von Leitlinienempfehlungen in der hausärztlichen Versorgung, um die Früherkennung und Therapie von CKD zu verbessern.

 

Welche Regularien und technologische Innovationen sind Ihrer Meinung nach entscheidend, um die Erfassung und Analyse von RWE-Daten zu optimieren?

Zunächst einmal brauchen wir standardisierte Datenformate und -protokolle, um Daten aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen und analysieren zu können. Diese Daten sollten in Cloud-basierten Plattformen gesammelt werden, um große Datenmengen speichern und verarbeiten zu können. Dazu bedarf es natürlich verbindliche Regeln. FDA und EMA haben bereits damit begonnen, entsprechende Leitlinien zu entwickeln. Diese Richtlinien helfen, klare Kriterien und Methoden für die Erhebung, Analyse und Interpretation von RWE-Daten zu etablieren. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) und dem Maschinellen Lernen (ML) werden schon heute Muster und Trends in großen Datensätzen erkannt. Beides kann dabei helfen, die Effizienz von Behandlungen zu verbessern und personalisierte Medizin zu ermöglichen. Gerade bei unstrukturierten Daten aus Textquellen wie klinischen Notizen, Arztberichten und Patientenfeedbacks könnte Natural Language Processing (NLP) eine wichtige Rolle spielen. Durch die so erweiterte Bandbreite der Daten kann die RWE-Analyse weiter verbessert werden. Und zu guter Letzt bietet auch Blockchain eine sichere und transparente Möglichkeit, Gesundheitsdaten zu verifizieren und zu verwalten.

 

Was sind die größten Herausforderungen bei der Integration von RWE in die klinische Praxis, insbesondere in Bezug auf Datenqualität und Datenschutz?

RWE-Daten stammen aus verschiedenen Quellen wie elektronischen Patientenakten, Krankenversicherungsdaten, Patientenregistern und Wearables. Diese Datenquellen verwenden unterschiedliche Formate, Terminologien und Qualitätsstandards, was die Integration und Vergleichbarkeit der Daten erschwert. Daten aus der realen Welt können zudem unvollständig oder fehlerhaft sein, oder Verzerrungen enthalten, weshalb die Datentransformation enorm wichtig ist. Beim Datenschutz ist der Schutz der Privatsphäre von Patienten von größter Bedeutung. Die Erhebung, Speicherung und Analyse von RWE-Daten müssen deshalb den gesetzlichen Datenschutzanforderungen entsprechen. Alle Daten müssen anonymisiert werden. Zudem sollten Patienten umfassend über die Erhebung und Nutzung ihrer Daten informiert werden. Das Vertrauen der Patienten erhält man nur durch große Transparenz und Klarheit in der Kommunikation.

 

Welche zukünftigen Entwicklungen und Trends sehen Sie im Bereich der Nutzung von RWE zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung?

Hier sehe ich mehrere vielversprechende Entwicklungen. Die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) und Maschinellem Lernen (ML) wird die Analyse von RWE-Daten weiter voranbringen, indem sie präzisere Vorhersagen und personalisierte Behandlungspläne ermöglichen. Außerdem werden Wearables und mobile Gesundheitsgeräte zunehmend an Bedeutung gewinnen, um kontinuierlich Echtzeitdaten zu sammeln, was eine engere Überwachung und bessere Gesundheitsinterventionen ermöglicht. Zudem wird die Interoperabilität zwischen verschiedenen Gesundheitssystemen und Datenquellen durch standardisierte Datenformate und APIs verbessert, wodurch umfassendere und kohärentere Datensätze entstehen. Ich glaube auch, dass die Patientenbeteiligung an der Datenerfassung und -nutzung durch patientenzentrierte Ansätze und Plattformen zunehmen wird. Dies wird Vertrauen schaffen und zu einer aktiveren Rolle der Patienten führen. Regulatorische Behörden werden RWE zunehmend in ihre Entscheidungsprozesse einbeziehen, was zu schnelleren Zulassungen und einer breiteren Anwendung neuer Therapien führen kann. Schließlich wird die Nutzung von Blockchain-Technologie die Datensicherheit und Transparenz erhöhen, was die Integrität der gesammelten Daten gewährleistet. Alle diese Entwicklungen zusammen werden die Qualität und Effizienz der Gesundheitsversorgung erheblich verbessern.