Prof. Hubert Schrezenmeier im Interview: "Rekonvaleszentenplasma ist keine Wunderdroge"
Erstellt am: 30.06.2022
Mithilfe von Rekonvaleszentenplasma von Covid-Genesenen will Prof. Hubert Schrezenmeier vom DRK Blutspendedienst Baden-Württemberg schwere Corona-Verläufe verhindern. Im Interview spricht er über seine aktuellen Studie und ersten Ergebnissen.
Über Prof. Hubert Schrezenmeier:
Univ.-Prof. Dr. med. Hubert Schrezenmeier ist Facharzt für Transfusionsmedizin und Innere Medizin mit Schwerpunkt Hämatologie und internistische Onkologie. Er arbeitet als Professor für Transfusionsmedizin an der Universität Ulm und leitet als Ärztlicher Direktor das Institut für Transfusionsmedizin der Universität Ulm und Ärztlicher Leiter das Institut für Klinische Transfusionsmedizin und Immungenetik Ulm gGmbH. Dabei handelt es sich um eine gemeinsame Einrichtung des DRK-Blutspendedienstes Baden-Württemberger-Hessen gGmbH und des Universitätsklinikums Ulm.
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Prof. Schrezenmeier, Sie leiten das Institut für Klinische Transfusionsmedizin und Immungenetik Ulm, das Teil des DRK-Blutspendedienstes Baden-Württemberg ist. Zum Portfolio des Instituts gehören auch klinische Studien. Was ist dabei die Aufgabe des DRK-Blutspendedienstes?
Wir versorgen Patientinnen und Patienten sowie Kliniken umfassend mit Blutprodukten, die bei Blut-, Plasma- und Stammzellenspenden gewonnen werden. Jedoch möchten wir nicht nur die Routineversorgung übernehmen, sondern auch mithilfe von klinischen Prüfungen neue Produkte entwickeln. Unser Team sieht sich dabei als Vorreiter und Wegbereiter für die Verbesserung von Therapien. Ein Beispiel hierfür ist unsere aktuelle Coronavirus-Studie mit Rekonvaleszentenplasma, das von Covid-Genesenen stammt.
Die Coronavirus-Pandemie bestimmt seit fast zwei Jahren das Leben in Deutschland. Bereits wenige Wochen nach deren Ausbruch initiiert der DRK-Blutspendedienst mit „Capsid“ seine erste Studie zur Wirksamkeit von Rekonvaleszentenplasma bei Covid-Patienten. Was war Ihr Ziel?
Mithilfe des Rekonvaleszentenplasmas wurden Patienten mit einem schweren Covid-Verlauf behandelt. Dafür sammelten wir Plasma von Menschen, die bereits eine Infektion überstanden hatten, und über eine hohe Zahl von Antikörpern verfügten. Mit einer Transfusion wurde das Plasma anschließend Erkrankten übertragen. Die Idee dahinter war, dass sich mit dieser passiven Immunisierung ein schwerer Verlauf eindämmen ließe. Wir hofften, die hohe Todesrate und schweren Verläufe auf der Intensivstation zu minimieren. Als Einschlusskriterium setzten wir daher fest, dass die Patienten eine Unterstützung der Atmung benötigen. Wir wollten ihre intensivmedizinische Behandlung verkürzen und so auch die Überlastung des Gesundheitssystems stoppen.
Gabe es zuvor schon ähnliche Therapieversuche mit Rekonvaleszentenplasma?
Die Behandlung mit Rekonvaleszentenplasma ist ein alter Therapieansatz. Bereits während der Spanischen Grippe vor mehr als 100 Jahren wurde es eingesetzt. Zuletzt testeten Wissenschaftler aus Südostasien bei den Coronavirus-Erkrankungen SARS und MERS die Behandlung, schon damals befürchteten Experten eine Pandemie. Die Publikationen zu diesen Studien waren für uns vor zwei Jahren eine wichtige Informationsquelle, weil SARS und MERS als Coronaviren enge Verwandte von Sars-Cov-2 sind.
Welche Ergebnisse zeigte die Capsid-Studie?
Wir hatten damals 105 Patienten eingeschlossen, als primären Endpunkt wurde das Überleben der Patienten an Tag 21 ohne Beatmungsunterstützung festgelegt. Dieses Ziel wurde bei 43 Prozent der Patienten in der Plasmagruppe und 33 Prozent in der Kontrollgruppe erreicht. Alle Betroffenen erhielten die bestmögliche Standardtherapie, die Mitglieder der Plasmagruppe bekamen an Tag eins, drei und fünf der Behandlung zusätzlich Infusionen mit Rekonvaleszentenplasma. Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen war bei der Fallzahl der Patienten jedoch nicht signifikant.
Was waren weitere Erkenntnisse?
In einer Subgruppenanalyse teilten wir die Erkrankten der Plasmagruppen noch einmal auf. Während die eine Untergruppe mit einer hohen Menge neutralisierender Antikörper versorgt worden war, hatte die andere Gruppe eine niedrige Dosis erhalten hatten. Dabei zeigte sich, dass 56 Prozent der Patienten mit einer hohen Dosierung von Rekonvaleszentenplasma den primären Endpunkt erreicht hatte. Ihr Zustand verbesserte sich im Gegensatz zur Gruppe mit der niedrigen Menge an Plasma schneller, zudem wurden sie früher von der Intensivstation entlassen. Während 92 Prozent der Menschen, die eine hochdosierte Spende erhalten hatten, an Tag 60 noch lebten, waren es in der Kontrollgruppe nur 68 Prozent.
Auch in anderen Ländern wurde zu Rekonvaleszentenplasma geforscht. Zu welchen Ergebnissen kamen Capsid und andere internationale Studien?
Aus der Gesamtheit der Studien lässt sich ableiten, dass Rekonvaleszentenplasma wirksam sein kann, wenn es sehr früh im Covid-19-Krankheitsverlauf verabreicht wird. Zudem ist die Konzentration der Antikörper entscheidend und bei welchen Patienten die Therapie eingesetzt wird. Inzwischen weiß man, dass Erkrankte sehr früh eigene Antikörper entwickeln. In unserer Studie betraf das 70 Prozent der Patienten. Es gibt aber Menschen, deren Körper zu dieser Antikörper-Antwort nicht in der Lage sind – etwa, weil sie unter hämatologischen Erkrankungen wie Leukämie leiden, einen angeborenen Immundefekt haben oder Medikamente einnehmen müssen, die eine Immunreaktion verhindern, weil sie ein transplantiertes Organ erhalten haben, das geschützt werden muss. Diese Patientengruppe hat nur eine eingeschränkte Abwehrleistung, reagiert in manchen Fällen schwer auf Impfungen und könnte daher von einer Spende mit Rekonvaleszentenplasma profitieren.
Gibt es weitere Hochrisikogruppen, die Sie nun verstärkt in den Blick nehmen?
In unserer neuen Studie zur Behandlung mit Rekonvaleszentenplasma werden auch ältere Menschen mit über 70 Jahren, die unter Begleiterkrankungen wie Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck oder Diabetes sowie Übergewicht leiden, eingeschlossen. Vor allem Herzerkrankungen bergen ein hohes Risiko, dass eine Sars-Cov-2-Erkrankung deutlicher schwerer als ein grippaler Infekt ausfällt. In vielen Fällen kommt es zu einem intensivmedizinischen Verlauf und der Notwendigkeit einer Beatmung. Daher erscheint es sinnvoll, diese Gruppe älterer und vorerkrankter Patienten früh mit Rekonvaleszentenplasma zu behandeln.
Mit der COVIC-19-Studie beginnt nun zeitnah eine weitere klinische Prüfung. Welche Rückschlüsse konnten Sie dabei aus der vorherigen Capsid-Studie ziehen?
Rekonvaleszentenplasma ist keine Wunderdroge, die unabhängig von Zeitpunkt, Dosierung und Patientengruppe zu positiven Ergebnissen führt. Nur bei einem gezielten Einsatz kann es seine Wirksamkeit entfalten. Die neue Studie steht nun unter dem Ansatz der frühen und intensiven Behandlung.
Bereits in den ersten Tagen nach einem positiven Coronavirus-Test startet die Rekonvaleszentenplasma-Therapie bei den vulnerablen Gruppen, um einen schweren Verlauf zu verhindern. Damit hat sich auch das Therapieziel verändert. Zudem setzten wir nur noch Plasma mit einem sehr hohen Antikörperanteil ein. Zum Vergleich: Gegenüber der früheren Studie verwenden wir nun Plasma, dass mindestens über eine zehnmal höhere Antikörper-Konzentration verfügt.
Seit Ihrer ersten Studie hat sich das Virus verändert, während anfangs noch die Alpha-Variante zu Erkrankungen führte, ist es nun Omikron.
Heute, eineinhalb Jahre später, wissen wir um die verschiedenen Varianten und so ist es durchaus denkbar, dass sie die unterschiedlichen Ergebnisse der Therapie beeinflussen. Bisher ist noch unklar, ob die Virusvariante bei Spender und Empfänger Einfluss auf die Wirksamkeit der Rekonvaleszentenplasmatherapie haben. Daher werden wir die Teilnehmer unserer Studie noch umfassender testen.
Was müssen Spenderinnen und Spender mitbringen?
Wir suchen Plasma-Spender, die über eine sehr hohe Zahl von Antikörpern verfügen – sozusagen: superimmunisierte Personen. Dies wird durch die Kombination von Impfungen und auskuriertem Infekt erreicht. Somit gilt der Status „geimpft und genesen“ für uns als Voraussetzung für eine Plasma-Spende. Und selbst in dieser Gruppe werden wir nach einer Voruntersuchung nur die Besten auswählen. Denn bereits vorausgegangen Testungen haben gezeigt, dass lediglich 40 Prozent der potenziellen Spender unsere hohen Grenzwerte erreichen.
Wie läuft die Studie für Spender ab?
Spendewilligen wird Blut abgenommen. Anschließend trennen wir in einem Plasmaseparator das Plasma von den üblichen Bestandteilen des Blutes, den roten und weißen Blutkörperchen und Blutplättchen. Dieser Teil des Blutes wird an die potenziellen Spender zurückgegeben. Die Menge des Plasmas ist abhängig vom Körpergewicht und beträgt zwischen 650 und 850 Millilitern, so dauert der Spendeprozess rund 45 Minuten. Aus einer Einheit können zwei bis drei Spenden zwischen 200 und 300 Millilitern gewonnen werden. Selbst wenn Menschen also nur einmal zur Plasmaspende kommen, kann mit ihrer Hilfe, ein Patient mehrmals behandelt werden.
Über die COVIC-19-Studie:
Im Februar begann die Sammlung der Rekonvaleszentenplasmen von super-immunisierten Spenderinnen und Spendern mit sehr hohen Antikörper-Titern. Im März soll auch die Rekrutierung von Patienten beginnen. Potenzielle Spender von Rekonvaleszentenplasma können sich auf der Webseite des DRK-Blutspendedienstes Baden-Württemberg-Hessen über die Teilnahme informieren und Kontakt aufnehmen.